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Helmut Seel / Die Entdemokratisierung im Bildungswesen schreitet voran - Erkenntnisse aus den Vorschlägen zur Verfassungsreform

von Helmut Seel
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Allerdings gibt es (oder muss man schon sagen „gab es") doch auch das Ziel der Durchflutung aller Bereiche der Gesellschaft mit Demokratie, insbesondere als ein Anliegen der SPÖ. Im Bildungswesen sind leider Rückschläge zu verzeichnen.

Im Universitätsgesetz 2002 hat man die demokratische Mitbestimmung an den Universitäten nachhaltig zerstört. Das Gesetz wurde gegen die SPÖ in der Zeit der Koalition von ÖVP und FPÖ/BZÖ beschlossen. Initiativen der SPÖ zur Wiedereinführung demokratischer Strukturen an den Universitäten fehlen bislang.

Nun kommt offensichtlich die Schule an die Reihe. In der vorgeschlagenen Reform der Bundesverfassung werden die demokratischen Strukturen der Schulverwaltung radikal beseitigt. Die bisherige Schulverwaltung und Schulaufsicht, zur Zeit geregelt im Artikel 81a des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), soll verschwinden. Der neue Artikel 81a enthält nur die Regelungen, die bisher im Artikel 14 B-VG festgelegt waren.

Die zweifellos komplizierten Bestimmungen (Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für den Beschluss über wichtige Schulgesetze), die nur durch einen Blick auf die bildungspolitische Situation der frühen sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts verstanden werden konnten, und welche die Modernisierung des Schulsystems lange Zeit blockierten, wurden allerdings bereits durch die Novelle der Bundesverfassung im Jahr 2005 beseitigt.
Es ist allerdings zu befürchten, dass durch das neue Prinzip der gemeinsamen Entwicklung von Bundesgesetzen durch Bund und Bundesländer („dritte Säule" der Gesetzgebung), welches das bisherige System von Grundsatzgesetzgebung durch den Bund und Ausführungsgesetzgebung durch die Länder ablösen soll, auf Grund schwieriger und langwieriger Einigungsprozesse über die Fragen der äußeren Schulorganisation den Fortschritt ebenso behindern könnte wie die Notwendigkeit zum Finden einer qualifizierten Mehrheit im Parlament.

Der entscheidende Rückschlag in den demokratischen Strukturen im Schulwesen ist jedoch, wie oben bereits angedeutet, die vorgesehene Abschaffung der Kollegialorgane des Landesschulrats und des Bezirksschulrats als Instrumente demokratischer Mitbestimmung auf regionaler Ebene. Der vorgeschlagene Beirat auf Landesebene kann Entscheidungen des in mittelbarer Bundesverwaltung agierenden Landeshauptmanns kaum wirksam beeinflussen.

Eine weitere Strukturierung der Schulverwaltung auf Landesebene sieht der Verfassungsentwurf nicht mehr vor. Dies bedeutet wohl, dass die Bezirksverwaltungsbehörden als ausführende Organe der neuen Bildungsdirektion als Teil der Landesverwaltung in Funktion treten sollen. Hier agieren mit der Ausnahme in den Statutarstädten nicht demokratisch gewählte und strikt weisungsgebundene Bezirkshauptleute.

Um ein Missverständnis auszuräumen: Dies soll kein Appell sein, in der Schulverwaltung nichts zu verbessern. Zweifellos ist die Frage notwendiger Entscheidungsebenen zu überprüfen. Da es in Zukunft nur mehr eine einheitliche Zuständigkeit des Bundes für Lehrer der Pflichtschulen und Lehrer der Wahlschulen (insbesondere auf der Ebene der Sekundarstufe II nach Beendigung der Schulpflicht) geben soll, sind die politischen Bezirke kaum mehr sinnvolle Einheiten des Schulsystems zu betrachten. Man sollte vielmehr an Bildungsregionen denken, welche in ihrer Größe durch ein differenziertes Schulangebot auf der Sekundarstufe II charakterisiert sein könnten. In solchen Bildungsregionen könnten auch mehrere politische Bezirke zusammengefasst werden. Die dabei notwendigen Problemlösungen auf Landesebene zu suchen, könnte einen tauglichen Kompromiss zwischen Verwaltungsvereinfachung und Interessenbefriedigung der Regionen darstellen.

Die Abschaffung demokratischer Mitbestimmungsorgane ist noch etwas anderes. Nun ist schon klar, dass auch Schulgesetze des Bundes Produkte demokratischer Entscheidungsfindung im Parlament darstellen, die dann von der Bundesverwaltung unmittelbar oder mittelbar zu vollziehen sind. Diese Bundesgesetze können jedoch nur relativ allgemein gefasst sein mit größeren Spielräumen zur Interpretation durch die Vollzugsorgane. Es ist zu bedenken, dass regionale oder lokale siedlungs- und verkehrsgeographische sowie wirtschafts- und kulturpolitische Rahmenbedingungen Probleme aufwerfen, die in zentralistischer Einheitlichkeit nicht oder nur suboptimal gelöst werden können. Hier ist dann aber demokratische Mitbestimmung ergänzend zur parlamentarischen Schulgesetzgebung notwendig. Eine Interessenvertretung der Eltern und Schüler als Beirat für den/der in mittelbarer Bundesverwaltung agierenden Landeshauptmann/Landeshauptfrau reicht dazu nicht. Es sind immer auch bedeutsame regional- oder lokalpolitische Interessen im Spiel.

Diesen politischen Aspekt der Schulverwaltung sollte man nicht abwertend betrachten, obwohl es modern geworden ist, Entpolitisierung zu fordern - und dabei Entdemokratisierung zu betreiben. Politische Kultur in zukunftsrelevanten Politikbereichen wie der Bildung ist die Vorsorge für eine gebührende Berücksichtigung der verschiedene politischen Positionen in der Gesellschaft und die entsprechende Entscheidungsbeteiligung auch der jeweiligen politischen Minderheiten im Gemeinwesen (was man mit dem oft abwertend gebrauchten Begriff des politischen Proporzes verunglimpft). Ein Kollegialorgan zur Mitbestimmung in der Schulverwaltung muss daher in seiner Zusammensetzung politisch legitimiert sein, wie dies bei den derzeitigen Kollegien der Landes- und Bezirksschulräte der Fall ist, deren Zusammensetzung nach den Ergebnissen der Landtagswahlen erfolgt. Man könnte auch an einen mit besonderen Bevollmächtigungen ausgestatteten Ausschuss des Landtags als Kollegialorgan für die Schulfragen denken.

Es kann nicht Sache des Autors sein, verfassungsrechtliche Regelungen des Problems anzubieten. Solche zu finden ist vielmehr Sache der Verfassungsreformkommission, der ja kompetente Verfassungsjuristen angehören. So wie diese die „dritte Säule" der Gesetzgebung erfunden haben, welche für das Schulwesen besondere Bedeutung haben wird, müssten sie doch auch in der Lage sein, ein System zu entwickeln, das dem/der in mittelbarer Bundesverwaltung agierenden Landeshauptmann/Landeshauptfrau ein Kollegialorgan zur Mitbestimmung im Vollzug der Bundesschulgesetze zur Seite stellt und damit dem Prozess der Entdemokratisierung Einhalt gebietet. Dieses Kollegialorgan könnte insbesondere auch als Bundesbehörde in Personalfragen agieren (Anstellung bzw. Entlassung von Lehrern auf Grund von Vorschlägen der Schulleitungen, Erstellung von Vorschlägen zur Bestellung von Schulleitern durch den Bundesminister).