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Klaus Satzke / Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität - ein vergessenes Thema?

von Klaus Satzke
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Zumeist verlässt man sich darauf, dass Maßnahmen außerhalb des Unterrichtsgeschehens selbst (Schulorganisation, Ausbildung, Fortbildung, Leistungsbeurteilung, Standards etc.) letztlich auch zu einem besseren Unterricht führen. Dem muss entgegenhalten werden, dass es jede Menge an Beispielen für gut gemeinte Reforminitiativen gibt, die die Schulklassen selbst nie erreicht haben. Darüber hinaus zeigen alle Leistungsvergleiche (zum Beispiel die PISA - Erhebungen), dass die Ergebnisse zwischen Schulen und Klassen enorm unterschiedlich sind, und zwar auch dort, wo diese unter vergleichbaren Bedingungen arbeiten.
Das ist umso erstaunlicher, als es gerade zum Thema der Unterrichtsqualität gute, solide Untersuchungen von renommierten Experten gibt, deren Ergebnisse in bemerkenswerter Weise übereinstimmen.
Verwiesen sei hier auf die Analysen von Andreas Helmke, Hilbert Meyer, Jürgen Oelkers und Rainer Dollase (Literaturangaben und Webrecherchen im Anhang). Einige kurze Zitate sollen das belegen:

- In der Schule sollte genau dasjenige stattfinden, wozu die Schulen erfunden wurden und was bis heute ihre Stärke ist, nämlich den Schülern Hilfen für den systematischen Wissens- und Könnensaufbau zu geben - und dies nicht isoliert im Kämmerlein, sondern in der stützenden und fordernden Unterrichtsgemeinschaft." (Meyer)

- Qualitätskennzeichen sind Klarheit, effektive Zeitnutzung, effiziente Klassenführung, individuelle, fachliche Unterstützung (id est: aktive Kontrolle und Unterstützung des Arbeitsfortschritts in Übung und Stillarbeit), Aufmerksamkeit im Unterricht, der Klassenkontext, hohe Leistungserwartung, intensive individuelle Hilfen, klarer Unterricht, ausgeprägte Lehrstofforientierung, Toleranz von Langsamkeit und effizientes Management (Helmke).

- Fast ident lauten die in 10 Punkten zusammengefassten „Merkmale guten Unterrichts" bei Hilbert Meyer:
1. Klare Strukturierung 2. Hoher Anteil echter Lernzeit 3.Lernförderliches Klima 4. Inhaltliche Klarheit 5.Sinnstiftendes Kommunizieren 6. Methodenvielfalt 7.Individuelles und 8. intelligentes Üben 9. Klare Leistungserwartungen 10.Vorbereitete Umgebung

- Analog ist bei Oelkers „guter Unterricht strukturierter, geleiteter Unterricht, der Fragestellung, Verfahren, Gehalt und Ziel nicht den Schülern überlässt. Gute Lehrkräfte haben Verständnis für ihre Schüler, gehen vom Lernstand ihrer Klasse aus und regen erfolgreich Lernen an, aber sie verhandeln nicht und stellen ihren Unterricht auch nicht zur Wahl."

Die Ergebnisse der Forschung über Unterrichtsqualität erscheinen allerdings auf den ersten Blick verführerisch plausibel und forcieren scheinbar tendenziell eher „konservative" Konzepte von Unterricht. Tatsächlich ist es so, dass progressive Methoden aus dem Repertoire der Reformpädagogik bei den Ergebnissen der Unterrichtsqualitätsforschung keine Rolle spielen, im Hinblick auf schichtspezifische Faktoren sogar als kontraproduktiv angesehen werden.
An dieser Stelle muss vor voreiligen Schlüssen gewarnt werden:

1. Ebenso wenig wie es einen Automatismus gibt, der von strukturellen Reformen (z. B. einer späteren Selektion im Mittelstufenbereich) zu einer qualitativen Verbesserung des Unterrichts führt, gibt es Grund für die Annahme, dass Verbesserungen in der Unterrichtsqualität die Notwendigkeit struktureller Reformen obsolet machen würden.
2. Reformpädagogisch orientierte Unterrichtskonzepte (z. B. forschendes, entdeckendes, selbstgesteuertes Lernen) stellen einen Wert per se dar, weil sie eben jene Qualifikationen fördern, die sie in den Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit stellen. Emanzipatorische Lernkonzepte stellen eine Wert per se dar und machen sie unverzichtbar für eine Schule, die gerne den mündigen Bürger als Zielvorstellung angibt. Offensichtlich sind derartige Konzepte für sich alleine aber keine Garantie für erfolgreichen Unterricht, wenn dieser die oben zitierten Merkmale guten Unterrichts vernachlässigt.
3. Die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse über guten Unterricht verändern nicht die Realität, sie sind kein geeignetes Material für Sonntagspredigten, die mit erhobenem Zeigefinger über den richtigen Weg belehren wollen. Sie müssen Eingang finden in die professionelle Auseinandersetzung der Lehrerinnen und Lehrer am Schulort selbst.

Der beim BMUKK eingerichtete Expertenkommission „Zukunft der Schule" (Schilcher - Kommission) ist zu konzedieren, dass sie sich vor den Fragen Unterrichtsqualität nicht gedrückt hat:

„Wesentliche Befunde weisen jedoch darauf hin, dass entscheidende Ansprüche hinsichtlich Qualität, Gerechtigkeit und Effizienz seitens des österreichischen Schulwesens derzeit nicht in zufrieden stellendem Maße erfüllt werden." (S.46, Abschnitt „Qualität - Gerechtigkeit - Effizienz")

Aber welche Lösungsansätze werden genannt?

- Unter Vorgabe nationaler Anforderungen und Standards ist ein „regionales" schulartenübergreifendes System zur Bildungsplanung und zum Bildungsmanagement einzurichten
- Spätere Selektion von SchülerInnen
- Standards für Kernbereiche
- Qualitätskriterien für Individualisierung
- Standardisieren von Prozessen, die zu den persönlichen individuellen Bildungsergebnissen führen
- National vergleichbare Kriterien und Verfahren, die Steuerung und Qualitätssicherung im Detail auf regionaler Ebene sowie an den Standorten ermöglichen

Der Schulstandort als Ort der Schulentwicklung wird gerade eben auch noch genannt, aber es wird - einmal abgesehen vom Reformchinesisch - viel zu sehr auf Außensteuerung und viel zu wenig auf Innensteuerung gesetzt. Dass Unterrichtsqualität besonders auch die Kraftanstrengung eines professionellen Lehrerkollegiums ist und dass es in diesem Zusammenhang um Schulentwicklung an Standort selbst geht, das ist aus diesen Vorschlägen kaum entnehmbar. Hier geht es um mehr, als nur um eine unterschiedliche Akzentsetzung: Das ist das Grundproblem einer Reformstrategie, die Schule weitgehend von außen steuern will und dabei auf Schulentwicklung an und durch die Schule am jeweiligen Standort vergisst.

Demgegenüber formuliert beispielsweise Oelkers:
„Der institutionelle Rahmen der Schule muss auf das Kerngeschäft hin entwickelt werden, nicht umgekehrt. ... Produktiver Unterricht entsteht im fortlaufend justierten Verhältnis von Lehren und Lernen, das auf fachliche Standards eingestellt ist, Struktur schafft und Bildungsziele verwirklichen kann."

Die Nutzung von Ergebnissen der Unterrichtsqualitätsforschung scheitert also an einem simplen, aber tief greifenden Problem. Der Ort der Auseinandersetzung, der Ort, wo Theorie und Praxis einander begegnen können, wo produktiver Unterricht reflektiert und fortlaufend nachjustiert werken kann (siehe Oelkers, oben) bleibt in vielen Reformkonzepten unklar. Klar sollte sein, dass dieser Ort nur die Schule selbst sein kann. Die Institutionen der Lehrbildung und Lehrerfortbildung sind selbstverständlich ungeheuer wichtig, aber sie sind kein Ersatz für die professionelle Auseinandersetzung mit Unterricht und Unterrichtsergebnissen am Ort des Geschehens selbst.
In diesem Sinn sollten die Aufgabenstellungen lauten:
- Personalentwicklung am Schulort selbst, die vom veralteten Konzept des Einzelkämpfers zu einer professionellen Kollegialität führt, einer Kollegialität, die sich vor allem mit dem Kerngeschäft des Berufes - dem erfolgreichen Unterrichten - beschäftigt.
- Ein neues und erweitertes Aufgabenprofil für eine Schulleitung, die sich der Notwendigkeit einer Professionalisierung des Lehrerteams bewusst ist und die geeigneten Methoden des Initiierens, Reflektierens, Moderierens und Kontrollierens von Qualitätsentwicklungsprozessen beherrscht, d. h. Prozesse in Gang setzt, aber nicht an sich zieht.
- Schulrechtliche Bestimmungen, die den Rahmen für Schulautonomie sinnvoll erweitern, die neue Rolle der Schulleitung berücksichtigten und die der Schulpartnerschaft eine neue Position im Rahmen einer standortbezogenen Schulentwicklung einräumen.

http://www.staff.uni-oldenburg.de/hilbert.meyer/9290.html

http://www.paed.unizh.ch/ap/downloads/oelkers/Vortraege/157_WeinfeldenUnterricht.pdf

http://www.uni-bielefeld.de/psychologie/ae/AE13/HOMEPAGE/DOLLASE/Unterricht.pdf