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Helmut Seel / Die Bildungsökonomie als Motor der Mittelstufenreform unseres Schulsystems

von Helmut Seel
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Hunderte Millionen Euro werden für den Schulbau vom Bund gefordert. In der Steiermark fehlen allein lt. Mitteilung des Amtsführenden Präsidenten des Landesschulrats („Kleine Zeitung" v.7.6.2008) 240 Millionen. Bemerkenswert ist, dass er sich bemüßigt sieht festzustellen, dass „eine Finanzierung durch Schulgeld" für ihn undenkbar erscheine. Überfüllte Klassen durch Überschreitung der Teilungsziffer oder durch Benützung ungeeigneter Nebenräume (Keller) als Klassenzimmer sind besonders in den Unterstufen der AHS in den Ballungsräumen zweifellos nicht selten. Die Ursache: Die Unterstufe der AHS wird immer stärker zur Allgemeinbildenden höheren Eintopfschule (AHES) der Mittelstufe unseres Schulsystems. Man kann es auch anders formulieren: Der Gesamtschulcharakter der AHS-Unterstufe nimmt von der Schülerseite zu, ohne dass ihm durch anerkannte Differenzierungsmaßnahmen schulorganisatorisch Rechnung getragen wird. Ein anderes Phänomen findet weniger Beachtung: geringe Schülerzahlen in den Hauptschulen im Einzugsbereich einer AHS-Unterstufe, leerstehende Klassenräume, Schließung von Hauptschulen im städtischen Bereich, längere Schulwege als Folge der Verdünnung des Hauptschulnetzes. Mangel und Überfluss nebeneinander ?

Der Rückgang der Schülerzahlen pro Geburtenjahrgang ist ein Faktum. Im zehnjährigen Vergleich ist er in der Volksschule genau zu beobachten: laut Statistik Austria von 1996/97 bis 2006/07 minus 9,5 %. Im Bereich der Mittelstufe unseres Schulsystems geht der Rückgang der Schülerzahlen hingegen allein zu Lasten der Hauptschule. Die AHS-Unterstufe expandierte trotz rückgängiger Geburtenrate Jahr für Jahr. Laut Statistik-Austria gingen die Schülerzahlen zwischen 1996/97 und 2006/07 in den Hauptschulen um 2,3 % zurück, in den AHS-Unterstufen stiegen sie um 13,6 %. Die Abstimmung „mit den Füßen" durch die Eltern ist nicht zu leugnen, „man" schickt eben die Kinder immer häufiger in die „höhere" Schule.

Die Rest-Schule der Mittelstufe im Einzugsbereich der AHS-Unterstufe - der Begriff „Haupt"-Schule ist im städtischen Bereich ja längst nicht mehr stimmig - wird dadurch kontinuierlich zur isolierten Sammelstelle lern- und verhaltensschwieriger Schüler, deren Integration in eine normalerweise breit gestreute und damit tragfähige Altersgemeinschaft immer weniger gelingt. Für die extremen Ausprägungsformen der Abweichung vom „Normalen" wurde mit der gezielten Integration der Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf in die Hauptschule und die AHS-Unterstufe durch die 16. SchOG-Novelle 1994 bereits vorgesorgt. Der „Rest" in den Hauptschulen in den Ballungsräumen fällt derzeit noch durch den Rost. Warum sollte er nicht auch integrierbar sein?

Die Schulorganisation der Mittelstufe unseres Schulsystems wird durch diese Entwicklung immer teurer. Der Ausbau der AHS-Unterstufe erfordert wegen der wachsenden Schülerzahlen zusätzliche Mittel. Das Netz der Hauptschulen als Pflichtschulen muss trotz geringer Schülerzahlen erhalten bleiben, um den Vorgaben des Pflichtschulgesetzes Rechnung tragen zu können. Der Zeitpunkt scheint nicht mehr fern, an dem die konservative Ideologie der Schulorganisation, die auch in der Novellierung der Bundesverfassung 2005 wieder ihren Ausdruck fand und die bisher durch Argumente und Exempel nicht verändert werden konnte, durch die Ökonomie zu Fall gebracht wird.

Man sollte daher eine gezielte Weiterentwicklung der Mittelstufe der Mittelstufe des österreichischen Schulsystems ins Auge fassen und nicht unüberlegt unter Zeitdruck in das bestehende System investieren. Notwendig erscheinen:
 Veränderungen in der Pflichtschulerhaltung. Alle Mittelstufenschulen sind als Pflichtschulen vom Bund zu erhalten. Entsprechende Veränderungen sind im nächsten Finanzausgleich vorzusehen.
 Führung der Unterstufen der AHS als allgemeine Mittelschulen mit offenem regionalem Zugang unter Mitbenützung des verfügbaren Schulraums der Hauptschulen im Einzugsbereich. Ein Beitrag des Bundes zur Schulerhaltung der Hauptschulen durch die Gemeinden (Gemeindeverbände) wäre als Übergangslösung notwendig.
 Ausbildung eines Mittelstufenlehrers, die nach einheitlichen Kriterien an den Universitäten (Bachelor - Abschluss der zweistufigen Lehramtsstudien) und den neuen Pädagogischen Hochschulen (Weiterentwicklung der Hauptschullehrerausbildung in weitgehender Kooperation mit den Universitäten) gestaltet wird. Die anstehende (in Arbeitsübereinkommen der Regierungsparteien fixierte) Novellierung des universitären Lehramtsstudiums sollte dazu genützt werden.
 Entwicklung und Erprobung einer stufengemäßen Didaktik und Methodik mit dem Ziel der Bewältigung größerer Streuungen in den Lernbefähigungen der Schülerinnen und Schüler durch Individualisierung des Unterrichts in den laufenden Schulversuchen mit der „Neuen Mittelschule". Sie sind verständlicher Weise vorwiegend an den ja bereits bisher als Gesamtschulen konzipierten Hauptschulen eingerichtet. Die Ergebnisse könnten schrittweise auch in der bisher am Schulversuch nicht beteiligten Unterstufe der AHS implementiert werden.

Innere und äußere Schulreform müssen Hand in Hand gehen, soll eine Weiterentwicklung im Sinne einer Modernisierung des Schulsystems gelingen. Chancen dazu, die sich in der Gegenwart zeigen, sollten genützt werden. Investitionen in das Schulsystem sollten zukunftsgerichtet sein.