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Helmut Seel / Auf dem Weg zu einem Neubau der Lehrer- und Lehrerinnenbildung in Österreich

von Helmut Seel
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Die wichtigste Baustelle im Bildungswesen wird in der XXIV.Gesetzgebungsperiode die Lehrerbildungsreform sein. Das Koalitionsabkommen weist darauf hin, dass „LehrerInnen der Schlüssel zum Bildungserfolg sind". Weiters wird festgelegt, dass „eine Expertengruppe bis zum Ende 2009 ein Konzept für eine der Bolognastruktur entsprechende, durchlässige und zwischen Universität und Pädagogischen Hochschulen abgestimmte Neuorganisation der verschiedenen Lehramtsstudien auf tertiärem Niveau erstellen soll".

Die Ausgangslage, kurz in Erinnerung gebracht: Pflichtschullehrerbildung (Volks-, Haupt- und SonderschullehrerInnen) an sogenannten Pädagogischen Hochschulen, deren Status aber immer noch dem einer anerkannten postsekundären Bildungsanstalt entspricht und die so wie die früheren Pädagogischen Akademien Schulcharakter aufweisen. Ob der Abschluss (Graduierung zum Bachelor of Education) als akademische oder staatliche Abschlussprüfung zu bewerten ist, ist bis dato nicht geklärt. - Bildung der Lehrer für mittlere und höhere Schulen in einem Diplomstudium (Magistergraduierung als akademische Abschlussprüfung) an den Universitäten, ergänzt durch ein von den Schulbehörden gestaltetes einjähriges Unterrichtspraktikum (abgeschlossen mit einer staatlichen Abschlussprüfung). Zwischen den beiden Bildungsgängen besteht keine Durchlässigkeit.

Die Motivation zum Neubau des Lehrerbildungsgebäudes hat zwei Wurzeln. Eine ist als gesellschaftspolitische zu betrachten. Dem Status des Lehrers in der Gesellschaft, für die er eine professionelle Dienstleistung zu erbringen hat, vergleichbar mit der des Arztes, des Anwalts, des Architekten, des Priesters etc., entspricht eine Ausbildung auf akademischem Niveau. Dieses erreichen derzeit bereits die Medizintechniker, die Hebammen, die Sozialarbeiter u. a. m. durch Einrichtung ihrer Ausbildungsgänge an den Fachhochschulen.

Die zweite Wurzel liegt in der Erfüllung der erwarteten professionellen und individuellen (klientenzentrierten) Dienstleistung der Bildungsvermittlung (sozial, emotional, kognitiv) in der Institution Schule. Klientenzentrierte professionelle Dienstleistung bedeutet, dass der Handelnde auf der Grundlage einer umfassenden theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung in der Lage ist, eine situationsgerechte individuelle Handlungstheorie zu entwickeln und verantwortlich einzusetzen. Aktionsforschung in der Ausbildung bereitet ihn u.a. darauf vor. Hier liegen auch die Defizite der Lehramtstudien an den Universitäten. Sie zielen in ihren Ausbildungsinhalten zu wenig auf das professionelle Handeln des Pädagogen in der Schule ab, obwohl seit dem Universitätsstudiengesetz 1997 die Ausbildung ausdrücklich auf die Unterrichtsfächer abzielt und nicht mehr nur auf die in ihrem Hintergrund stehenden wissenschaftlichen Disziplinen.

Für den Bauplan der neuen Lehrerbildung hat die Expertengruppe zwei Vorgaben erhalten: Es ist ein durchlässiges System zweier Institutionen des tertiären Sektors zu entwickeln. - Und: In diesem System ist der Bologna-Struktur des Hochschulstudiums (Bachelorstufe - Masterstufe) Rechnung zu tragen.

Die Expertengruppe steht unter dem Zeitdruck, innerhalb des Jahres 2009 als Architekten des neuen Gebäudes der österreichischen Lehrerbildung zum Ziel zu kommen. Es wird daher jedenfalls nicht genügend Zeit dafür zur Verfügung stehen, neue Kompetenzmodelle für die Lehrerbildung zu entwickeln. Hier wird es angebracht sein, sich auch auf entsprechende Lehrer-Kompetenzstudien des deutschsprachigen Auslands zu stützen (z.B. Schweiz: Oser 1997, Oser/Oelkers 2001; Deutschland: Terhart 2002, Kultusministerkonferenz 2004).

An den Systemen der LehrerInnenbildung in der Schweiz oder in Deutschland kann man sich jedoch nicht orientieren, wenn man die oben angeführten Vorgaben zur Lehrerbildung im Koalitionsabkommen für die XXIV. Gesetzgebungsperiode im Auge hat. Die Schweiz hat zwar vorbildliche Pädagogische Hochschulen (Abschluss Lehrerdiplom) geschaffen, eine Integration der gesamten Lehrerbildung wird jedoch nicht angestrebt. Die fachlichen Studien der Gymnasiallehrer werden weiterhin an den Universitäten (Bachelor- und Masterstudium) absolviert, die anschließende pädagogische Ausbildung (MAS SHE /Master of Advanced Studies - Secondary and Higher Education) kann auch an Pädagogischen Hochschulen erfolgen.

Die Lehrerbildung in Deutschland erfolgt für alle Lehrerkategorien an den Universitäten oder an gleichrangigen Pädagogischen Hochschulen (Baden-Württemberg. Rheinland-Pfalz) mit zum Teil unterschiedlicher Dauer und wird mit der ersten Staatsprüfung abgeschlossen. Sie wird durch ein zweijähriges Referendariat an staatlichen Studienseminaren ergänzt, an dessen Ende die zweite Staatsprüfung steht. Bezüglich der deutschen Lehrerbildung ist ihre langfristige Entwicklung zu bedenken: Pädagogische Akademien in der Weimarer Republik - Pädagogische Hochschulen mit Fachhochschulstatus in den 50er-Jahren - Ausbau und in den meisten Bundesländern Universitätseingliederung in den 80er-Jahren. Die derzeit laufende Reform betrifft die Einführung der Bologna-Struktur der Studien.

Der Auftrag der Expertenkommission beschreibt für diese das zukünftige Gebäude der neuen Lehrerbildung leider nur ungenau bzw. unvollständig:
 Es fehlt der Hinweis darauf, ob eine schultypenbezogene oder eine bildungsstufenorientierte Lehrerbildung einzurichten ist. Das betrifft insbesondere den Mittelstufenbereich des Schulsystems. Hier stehen derzeit eine noch ausbaubedürftige Hauptschullehrerausbildung und eine die Unterstufe vernachlässigende Lehrerbildung für die höheren Schulen in unbefriedigender Weise nebeneinander. Die spezifischen pädagogischen und didaktisch-methodischen Maßnahmen für die zehn- bis vierzehnjährigen Schülerinnen und Schüler finden in den Ausbildungen noch nicht den ausreichenden Niederschlag. Allerdings wäre es notwendig, in diesem Zusammenhang endlich das Schulorganisationsgesetz (§ 3) zu novellieren und den Bereich der „Sekundarschulen" in international üblicher Weise (vgl. International Standard Classification of Education /ISCED der Unesco) in die „Sekundarstufe I" (Mittelstufe des Schulsystems) und die „Sekundarstufe II" (Oberstufe des Schulsystems) zu gliedern. Dies wurde in der 16. SchOG-Novelle 1994 von der ÖVP verhindert, um die Langformstruktur der AHS nicht zu gefährden. Auch wenn eine diesbezügliche bildungspolitische Entscheidung zu einer Integration der Mittelstufe des Schulsystems noch nicht in Sicht ist, sollte man bei der Reform der Lehrerbildung dem Schulstufenprinzip Rechnung tragen. Die Reform der Studienstruktur würde dazu eine Möglichkeit bieten: Ausbildung zum Mittelstufenlehrer in einem sechs- bis achtsemestrigen Bachelorstudium, Ausbildung zum Oberstufenlehrer in einem anschließenden Masterstudium. Das gesamte universitäre Lehramtsstudium würde damit eine Doppelqualifikation mit zwei Ausbildungsschwerpunkten vermitteln. Der Mittelstufenlehrer könnte in einem erweiterten Bachelorstudium aber auch an den Pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden.
 Der Auftrag an die Expertenkommission enthält keinen Hinweis auf die Art und Weise der Sicherung der staatlichen Interessen hinsichtlich einer Einflussnahme auf die Lehrerbildung. Der Staat trägt ja die Gesamtverantwortung für das Bildungssystem und ist weitgehend monopolistischer Arbeitgeben für die Lehrer. Für die Institutionen des tertiären Sektors ist jedoch die Autonomie konstitutiv. Bereits die Einführung des Lehramtsstudien als Diplomstudien mit akademischem Abschluss („Magister") durch das Gesetz über geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Studien (1971) an den Universitäten - damals noch staatliche Institutionen mit der Möglichkeit der Einflussnahme auf das Studium auf dem Verordnungsweg (Studienordnungen) - veranlasste die Schulverwaltung zur Einführung des einjährigen „Unterrichtspraktikums", in welchem die Absolventen des universitären Lehramtsstudiums unter staatlicher Leitung in den Schuldienst eingeführt werden und ihre Eignung dafür nachzuweisen haben. Durch das Universitätsgesetz 2002 wurden die Universitäten in autonome nicht-staatliche Institutionen übergeführt, welche bezüglich der Gestaltung der Curricula und der Prüfungen völlig unabhängig sind. Diese Entwicklung hat zweifellos das Interesse der Schulverwaltung an einer Ergänzung der universitären Lehramtsstudien durch eine referendariatsähnliche Einrichtung (Studienseminar in Deutschland) verstärkt. Beim Bau der neuen Lehrerbildung ist jedenfalls die Gesamtzeit der Ausbildung (Summe aus Hochschule und Einführungsdienst unter Berücksichtung spezifischer Ausbildungsaufgaben) zu beachten. Dieses Staatsinteresse ist auch bei der Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen zu bedenken. Den echten Hochschulstatus können sie nur durch eine Einführung bzw. Erweiterung der Autonomie erreichen. Die Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen sollte sich wohl am Status der Fachhochschulen orientieren, und zwar sowohl bezüglich der institutionellen Autonomie (Satzungsfreiheit, Leiterwahl) als auch hinsichtlich der Qualitätssicherung der Lehre und Forschung. Die staatliche Trägerschaft könnte - wie früher bei den Universitäten nach dem UOG 1993 - erhalten bleiben, ein neues Dienstrecht müsste dem Bedarf an wissenschaftlich qualifizierten (habilitierten) Hochschulprofessoren Rechnung tragen. Ein vom Staat (Unterrichtminister) eingesetzter Rat der Pädagogischen Hochschulen könnte in entsprechender Zusammensetzung (einschlägig wissenschaftlich qualifizierte Personen und Vertreter der Schulverwaltung) weisungsfrei und von Prinzip der Qualitätssicherung geleitet die von den Hochschulen entwickelten Curricula akkreditieren und die Forschungsvorhaben beurteilen. Die Prüfung der Curricula durch eine Fachabteilung des Ministeriums, die offensichtlich vor allem auf die Einheitlichkeit der Programme („Zentralcurricula") bedacht ist, ist jedenfalls keine hochschuladäquate Vorgangsweise. Ob trotz der Akkreditierung der Curricula die Absolventen der Studien an den Pädagogischen Hochschulen ein anschließendes Unterrichtspraktikum als Einführungsdienst absolvieren müssen, wird insbesondere hinsichtlich einer Gleichbehandlung von Mittelstufenlehrern, die sowohl an den Universitäten als auch an den Pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden sollen, zu bewerten sein. Bezüglich der staatlichen Beurteilung der Absolventen der Volksschullehrerstudien könnte wohl auch an eine Art von Lehrbefähigungsprüfung gedacht werden, welche die Abgänger der Lehrerbildungsanstalten nach einer zweijährigen Praxis unter Beobachtung durch die Schulaufsicht abzulegen hatten. Dies würde durchaus auch der Vorgangsweise in anderen akademischen Berufen entsprechen (Verwaltungsdienstprüfung, Richteramtsprüfung).

Es ist zu wünschen, dass die Expertenkommission noch rechtzeitig mit diesen beiden Ergänzungen ihres Auftrags versorgt wird. Dafür sind jedoch weitere bildungspolitische Entscheidungen in absehbarer Zeit notwendig.