Klaus Satzke / Die Schule aus der Geiselhaft der Politik entlassen!
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Gleichgültig, ob man die österreichische Schulentwicklung im Längsschnitt über nahezu 80 Jahre (Hauptschulgesetz 1927 - 2010) oder als Momentaufnahme (Ankündigung eines Bildungsgipfels, der nicht und nicht stattfindet) betrachtet, realistischer Weise muss man den Schluss ziehen, dass die politischen Kräfte dieses Landes nicht Willens und/oder nicht in der Lage sind, eine Gesamtreform des österreichischen Schulwesens zustande zu bringen.
Der Widerspruch zwischen dem, was auf der einen Seite die wachen Bürger dieses Landes und der überwiegende Teil anerkannter Schulexperten fordern (nahezu unisono unterstützt von den maßgeblichen Medienkommentatoren), und dem, was sich andererseits auf der Ebene der konkreten Schulpolitik abspielt bzw. eben nicht abspielt, weil jede Art von Initiative in Sackgassen mündet, das ist nahezu unerträglich geworden.
Dem Wissenschaftler Ralph Grossmann (Leiter der Abteilung Organisationsentwicklung der Uni Klagenfurt) ist daher beizupflichten, wenn er im Interview mit der Presse fordert: „Die Schulentwicklung muss aus der Geiselhaft heraus, wo reflexartig Parteipositionen gegeneinander gesetzt werden." Und an anderer Stelle: „Voraussetzung für die ideale Schule ist, dass sie nur nach professionellen, nichtpolitischen Gesichtspunkten funktioniert. Die Entpolitisierung ist eine ganz wesentliche Voraussetzung."
Auch wenn man Einwände gegen einen etwas engen Politikbegriff hat und die Differenzierung von Sachfragen und politischen Fragen nicht immer leicht sein dürfte: Grundsätzlich ist Ralph Grossmann Recht zu geben. Was er fordert, ist jedenfalls mehr als nur ein verzweifelter Reflex auf das offenkundige Versagen der Politik. Es ist auch das Einfordern eines komplexen Nachholprozesses, der in anderen gesellschaftlichen Bereichen offenkundig viel weiter gediehen ist und hier durch einige Stichwörter - bezogen auf den Bereich Schule - charakterisiert werden soll:
Verlagerung wichtiger Entscheidungskompetenzen aus dem Bereich Gesetzgebung und Verwaltung an den Schulstandort selber bzw. an (neu zu schaffende) Bildungsregionen,
Freisetzung von Ressourcen durch Verschlankung der Verwaltung zugunsten der Standorte und Regionen,
Sicherung eine professionellen Schulberatung an den Schulen zur Sicherung nachweislicher Qualitätsprozesse an den Schulen,
regelmäßiges Monitoring der Entwicklungsprozesse an den Schulen
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Schule nicht mehr ein Verwaltungsbereich unter politischer Oberaufsicht ist, sondern ein Dienstleistungsbetrieb, der selbstständig und eigenständig unter Rahmenbedingungen arbeitet, die allerdings (da verschweigt sich Grossmann) eines politischen Klärungsprozesses bedürfen.
Wer Schritte in diese Richtung für richtig und wichtig erachtet, der muss sich allerdings auch im Klaren darüber sein, dass in diesem Zusammenhang neue Mitsprache- und Mitentscheidungsmodelle inklusive geeigneter demokratischer Kontrollorgane auf Schulebene unerlässlich sind. Wenn SchulleiterInnen Personalentscheidungen treffen sollen und Lehrerteams weitreichende Schritte über Inhalte des Unterrichts, seine Organisation und seine Vermittlungsstrategien setzen, dann bedarf das klarer Mitspracheregelungen aller Schulpartner und auch eindeutiger Mechanismen der Kontrolle und Konfliktregelung. Wer die Schule aus einer Geiselhaft befreien will, der darf sie nicht in andere, eben so gefährliche Zwangsverhältnisse lenken. Man kann all jenen, die nun schon lange und oft auch eindrucksvoll für mehr Autonomie und weniger Obrigkeit argumentieren, den Vorwurf nicht ersparen, nur wenig bis nichts zur Diskussion neuer demokratischer Entscheidungs- und Kontrollformen beigetragen zu haben. Übertroffen wird diese (bewusste?) Naivität nur noch von jenen Politikern, die die Abschaffung von Kontrollorganen (z. B. Kollegien der Landesschulräte) mit dem nicht ganz unzutreffenden Argument fordern, sie wären „verpolitisiert", aber an keinerlei Ersatz durch wirksamere und zeitgemäße Formen einer demokratischen Kontrolle denken.
Trotz dieser defizitären Diskussion erscheint eine Neupositionierung der Schule in unserem politischen System mehr als angebracht, auch und gerade vor dem Hintergrund einer bislang konfus verlaufenden Diskussion über eine Neuordnung der Verfassung.
Die Dramatik einer sich selbst lahmlegenden Schulpolitik besteht ja nicht in einem Stillstand der Schulentwicklung, sondern in schleichenden, ungesteuerten, sich täglich verstärkenden Entwicklungsprozessen (siehe Hauptschule in Ballungszentren). Wem als Antwort auf diese Situation immer nur „Schulversuche" einfallen, die Problemlösungen lediglich aufschieben, aber kein Ausgangs- und Überleitungsszenario enthalten, dem ist letztlich auch der gute Wille abzusprechen. Angesichts dieser Tatsache muss man sich auch von der Vorstellung lösen, dass große strukturelle Veränderungen unbedingt immer des Plazets der Politik bedürfen, sofern die Politik nur die entsprechenden Freiräume für demokratische legitimierte Entscheidungen zulassen würde.
Wenn sich Ministerin Karl das Gymnasium für alle vorstellen kann, dann ist die Frage zu stellen, warum sich nicht alle Hauptschulen, die sich mit ihren Lernergebnissen (z. B. gemessen an Bildungsstandards) innerhalb der Bandbreite der österreichischen höheren Schulen bewegen, für eine Umwandlung in eine höhere Schule entscheiden können. Wenn sich die Maßnahmen der Individualisierung und Differenzierung an den Neuen Mittelschulen bewähren, dann ist nicht einzusehen, warum dies nicht allen Schulen angeboten werden kann. Man sage nicht, das würde an den finanziellen Mitteln scheitern. Schulversuche kosten auch Geld, sich erweiternde Schulversuche kosten immer mehr Geld und außerdem geht es um langfristige Entwicklungen, z. B. in 10-Jahresschritten. Klar, dass ein derartiger Prozess geklärte Rahmenbedingungen benötigt- also einen von der Politik zu schaffenden Rahmen - und definierte Fernziele (z. B. Qualitätsentwicklung mit dem Fernziel einer gemeinsamen Schule) und ein Monitoring, das die Schulqualität überprüft und sicherstellt. Aber all dies ist mit den vorhandenen Mitteln und Instrumentarien grundsätzlich möglich, wenn man nur will. Will man wirklich oder wollen die einen bei der traditionellen Klientel-Politik verharren und haben die anderen schlichtweg Angst vor der vielbeschworenen Basis? Die Schulentwicklung wäre dort jedenfalls in besseren Händen als bei nach Macht und Einfluss dürstenden Landeshauptleuten. Michael Fleischhacker (Chefredakteur der Presse) sieht es pessimistisch: „Die Schule bleibt Tummelplatz der Operettenfürsten aus den Landeshauptstädten und in der Universitätspolitik trägt man die Kontroversen der 70er-Jahre aus. Und sparen will man auch noch." (Presse v. 13.8.2010)