Positive Clusterphantasien
von Helmut SeelArtikel drucken
Die Reformmaßnahmen im Schulsystem, welche als „Autonomiepaket“ zu einseitig benannt werden, enthalten auch andere wichtige schulorganisatorische Veränderungen. Neben der Ermöglichung von Versuchsregionen mit der Gesamtschule ist die Einrichtung von Schulclustern zu nennen. Auf gut Deutsch könnte man sie Schulverbünde bezeichnen. Auf Initiative der Grünen werden solche Zusammenschlüsse auch zwischen Bundes- und Landesschulen möglich sein, eine Folge auch der Vereinheitlichung der Schulverwaltung durch die neuen Bildungsdirektionen.
In der Diskussion dieser neuen Möglichkeit der Clusterbildung (bis zu acht Schulen unter einer Clusterleitung) überwiegt der Verdacht, sie als Einsparungspotenzial zu betrachten. Wohl nicht zu Unrecht, muss doch angesichts der vorgegebenen Kostenneutralität der Reformen innerhalb der neuen Maßnahmen Manövriermasse gewonnen werden. Zwei schulpädagogisch relevante Möglichkeiten sind jedoch auch anzuführen.
Die Schwachstelle im Mittelstufenbereich des österreichischen Schulsystems ist die Neue Mittelschule (NMS). Im Bereich der Sekundarstufe I stehen die Wahlschule „Unterstufe der AHS“ und die Pflichtschule „NMS“ nebeneinander. Eine erste (verfrühte) Selektion der Befähigten erfolgt am Ende der Volksschule (4. Schulstufe). Auf Grund vieler Fehlentscheidungen hinsichtlich der Befähigungen, auch auf Grund fehlender Bildungsinteressen der Eltern, aber auch mangels regionaler Übertrittsmöglichkeit in eine AHS-Unterstufe versteht sich die NMS mit Recht als Gesamtschule, die allen Befähigungen in breiter Streuung Rechnung tragen muss. Neben der für die Gesamtschule konstitutiven Integrationsfunktion hat sie auch eine Selektionsfunktion zu beachten, das heißt entsprechend Befähigte zu fördern und auf den Übertritt in höhere Schulen nach der 8. Schulstufe vorzubereiten. Diese Vorbereitung gelingt in der NMS wegen des Fehlens transparenter und effizienter Differenzierungsmaßnahmen nur schlecht.
Eine zweite Ursache ist, dass häufig Lehrer ohne facheinschlägige Lehramtsprüfung eingesetzt werden müssen. Dies ist durch das Dienstrecht der Pflichtschullehrer verursacht, welches nur die Besetzung von ganzen Dienstposten vorsieht, und ist in Kleinschulen am stärksten ausgeprägt. Im Schulencluster, im Verbund benachbarter Schulen wäre ein flexiblerer Einsatz der notwendigen Fachlehrer leichter möglich.
Eine besondere Problematik der NMS entsteht in den städtischen Ballungszentren, in denen die Unterstufen der AHS alle einigermaßen leistungsfähige und leistungsbereite Schüler übernehmen und die NMS daher ihren Gesamtschulcharakter völlig verliert. In ihr sammeln sich die aus verschiedenen Gründen Lernbehinderten, Kinder mit Migrationshintergrund oder mit besonderem sonderpädagogischem Förderbedarf. Lernvorbilder fehlen. In einem Schulencluster, das eine AHS-Unterstufe mit benachbarten NMS verbindet, könnte bewirkt werden, dass auch mehr Befähigte in den NMS verbleiben, da sie auch dort von AHS-Lehrern unterrichtet werden könnten. Die NMS könnten dann den pädagogisch wichtigen Gesamtschulcharakter zurückgewinnen, vorausgesetzt es wird eine transparente Leistungsdifferenzierung eingerichtet.
Hier wird kein pädagogisches Neuland betreten. Bereits anfangs der achtziger Jahre im vergangen Jahrhundert wurde der Schulversuch „Schulverbund Graz-West“ eingerichtet, der eine neu gegründete AHS mit den benachbarten Hauptschulen verband. Ein Versuchsziel war, die Auslaugung der Hauptschulen zu verhindern, indem AHS-Lehrer in den Hauptschulen und Hauptschullehrer in der AHS-Unterstufe in gemeinsamer Planung unterrichten.
Aber auch im Bereich der Volksschule/Grundschule kann man der schulischen Clusterbildung etwas abgewinnen. Auf Grund der rückläufigen Schülerzahlen im ländlichen Bereich sind immer mehr Kleinschulen von der Einstellung bedroht. Für die betroffenen Gemeinden bedeutet der Verlust der Schule den Verlust der kulturellen Zentren nach dem Verlust von Einkaufsmöglichkeiten und der Polizeidienststellen. Im Cluster benachbarter Kleinvolksschulen werden die entsprechenden Schülerzahlen zur Schulerhaltung erreicht. und eine schulpädagogische Verbesserung ist möglich.
Jede der Clusterschulen führt nur eine bestimmte Schulstufe, die Schüler werden mit dem Schulbus zwischen den Schulen entsprechend verteilt und nach dem Unterricht in ihre Wohngemeinden zurückgebracht. Erste Schritte in diese Richtung sind im Zuge von Gemeindezusammenlegungen zu beobachten, wenn im Rahmen der neuen Großgemeinde mehrere Schulstandorte erhalten bleiben.
Alle Veränderungen sind an die Zustimmung der Eltern und Lehrer im Schulgemeinschaftsausschuss gebunden. Die Qualität dieser Entscheidungen sollte mittels Beratung durch die Wissenschaft gehoben werden.